Mittwoch 19. Mai 2010 von Michael Meinhardt
Schon fast traditionell, genauer gesagt zum vierten Mal, fand am Himmelfahrtswochenende in Haiger das vom C4 ChessClub ausgerichtete Open mit Turnierbedenkzeit statt. Nachdem ich in den drei vorherigen Ausgaben nur als Zuschauer oder Schiedsrichter vor Ort war, beschloss ich in diesem Jahr, mich selbst ans Brett zu setzen, leider als einziger Spieler unseres Vereins. Auf Grund vieler Parallelveranstaltungen nahmen nur 51 Spieler teil, 13 weniger als im Vorjahr. Die Setzliste versprach einen spannenden Kampf um den Turniersieg, war doch diesmal im Gegensatz zu den vergangenen Jahren kein überragender Titelträger am Start, sondern eine breite Meute mit Wertungszahlen zwischen 2150 und 1950, in der ich mich an Setzplatz 7 einreihte. Dementsprechend hatte ich in der ersten Runde Weiß, mein Gegner war Peter Schneider aus Schutzbach. Ich opferte früh einen Bauern, um Entwicklungsvorsprung und offene Linien gegen den schwarzen König zu erlangen. Schneider gab zwar eine Figur, aber der Angriff behielt seine Wucht und drang nach 21 Zügen durch, der erste „Pflichtsieg“ war geschafft.
In der zweiten Runde spielte ich mit Schwarz gegen Rudi Förster von den SF Braunfels. Die Eröffnung lief nicht so gut für mich, Förster erhielt Vorteil und – bot mir Remis an. Ich hatte im Vorfeld beschlossen, keine Kurzremisen zu machen, in der vorliegenden Stellung kostete mich dieser Vorsatz einige Überwindung, aber ich spielte weiter. Förster versuchte nun durch komplette Abholzung, das erstrebte Remis zu erreichen, eine aktivere Herangehensweise hätte mich möglicherweise vor arge Probleme gestellt. So landeten wir in einem Läufer (meinerseits) gegen Springer Endspiel, in dem ich noch ein bisschen nach dem vollen Punkt stocherte. Leider war die Überlegenheit des Läufers in der vorliegenden Struktur nicht so groß, wie ich es aus einigen Lehrbeispielen kannte, sodass ich in ein remises Bauernendspiel abwickelte. Aber Förster schätze dieses fälschlicherweise als verloren für sich ein und machte ein paar Desperadozüge, nach denen ich tatsächlich noch gewinnen konnte.
Der nächste Morgen war frei – zumindest für die allermeisten Teilnehmer. Ich hatte Hauptorganisator Timo Schönhof aber die Zusage gegeben, beim Tigerscup, einem Schülerturnier mit 69 Teilnehmern, das am spielfreien Freitagvormittag in den Open-Räumlichkeiten stattfindet, zu schiedsen. Meine Bitte nach einem leichten Gegner am Nachmittag wurde leider nicht erhört, ich traf mit Weiß an Brett 1, das in Haiger auf der Bühne der Stadthalle mit Liveübertragung in den gesamten Raum und den Verpflegungsbereich ausgetragen wird, auf die Nummer 2 der Setzliste, Sebastian Müer aus Rastede. Schon im ersten Zug führte dieser meine eh schon geringe Vorbereitung ad absurdum und es entstand eine in letzter Zeit populäre Variante der französischen Verteidigung. Durch die sich blockierenden Bauernketten im Zentrum sind die Pläne hier eigentlich vorgegeben, Weiß stürmt am Königsflügel, Schwarz am Damenflügel. Da ich am Königsflügel nicht voran kam, änderte ich den Plan. Ich öffnete selbst den Damenflügel, um die dort aktiven schwarzen Figuren abzutauschen und mit meinen Schwerfiguren rüber zu schwenken. Das ging jedoch schief, durch einen taktischen Kniff stellte Müer meine Figuren am Königsflügel ins Abseits und verlagerte seine Restarmee seelenruhig auf den nun offenen Damenflügel, wo er reichlich Beute machte, Aufgabe meinerseits und runter ging es von der Bühne.
Die vierte Runde brachte mir Schwarz gegen unseren ehemaligen Spieler Arne Peutz, der mittlerweile für C4 am Brett sitzt. Es entstand sie berühmt-berüchtigte Mittelspielstruktur mit dem isolierten weißen d-Bauern. Arne übersah eine Abtauschkombination, die nicht nur zwei Leichtfigurenpaare vom Brett nahm, sondern auch die weiße Bauernschwäche nach c3 verlagerte. Im entscheidenden Moment hatte ich die Wahl zwischen vier viel versprechenden Fortsetzungen, aber mit traumwandlerischer Sicherheit erwischte ich natürlich den falschen Zug. Arne haute auf h7 mit dem Läufer rein, objektiv betrachtet nicht ausreichend, aber am Brett fand ich die Widerlegung nicht. Ich gab die Mehrfigur zurück, um in ein auf Grund der gesünderen Bauernstruktur etwas besseres Doppelturm-Endspiel abzuwicklen. Arne warf einen seiner schwachen Bauern für Turmtausch über Bord, das Turmendspiel schätzte ich optimistisch als „sogar für mich zu gewinnen“ ein. Tatsächlich führte ich den b-Freibauern zum Sieg, aber der Rechner zeigte mir zu meiner Überraschung noch einen späten Remisweg für Weiß, den wir beide nicht auf dem Radar hatten.
So aber stand ich bei drei Punkten aus vier Runden, SwissChess bescherte mir in der fünften Runde Weiß gegen meinen ausgesprochenen „Angstgegner“ Christian Reiffenrath (Hellertal), meine stolze Bilanz gegen ihn: 1,5/9. Auch diesmal ging es nicht gut los, ich vergaß in der Eröffnung mittels h3 ein Luftloch für meinen in der entstandenen Struktur enorm wichtigen schwarzfeldrigen Läufer zu schaffen, der auch prompt mit Sh5 abgetauscht wurde. Die wichtige Kontrolle über das Feld e5 war damit weg, meine Motivation auf dem Tiefpunkt. Glücklicherweise bot Christian im 16. Zug Remis an und es fiel mir auf Grund der wirklich schlechten Stellung nicht schwer, meinen Vorsatz (siehe oben) über Bord zu werfen, Remis.
In der sechsten Runde gewann ich mit Schwarz in nur 19 Zügen gegen Klaus Montermann (Marburg), die Partie gibt es unten.
Vor der letzten Runde stand ich mit 4,5 aus 6 punktgleich mit vier anderen Teilnehmern auf dem dritten Platz, es folgten allerdings gleich acht Spieler, die mit 4 Punkten auf Ausrutscher warteten. Ich hatte Weiß gegen meinen ehemaligen Teamkollegen Jens Dickel, mittlerweile in Kreuztal aktiv. Ein schneller Händedruck hätte mindestens den achten Platz und somit ein „Money Finish“ (Geld gabs bis zum zehnten Rang) bedeutet, ein Sieg hingegen den sicheren dritten Platz. Ich nahm mir vor, die Stellung auszuspielen, Jens aber bot mir nach zehn Zügen Remis an, klar, er hatte die beste Buchholzzahl im Feld. Ich lehnte ab, aber Jens tauschte trocken alles ab, was ihm gefährlich werden konnte und nahm kurze Zeit später mein Remisangebot an, in der Schlussstellung war Schwarz sogar schon leicht im Vorteil.
Nun galt es also, meine Buchholzpferdchen anzufeuern. Diese machten ihre Sache auch ziemlich gut, dennoch reichte es „nur“ zu Platz 7, ich landete also auf meinem Setzplatz und strich immerhin 60 Euro ein.
Das Turnier gewann Frank Wenner (Gernsheim) vor dem punktgleichen Siegener Gerald Richter (beide 5,5) und Jens Dickel als buchholzbestem 5-Punkter.
Über die Qualität des Turnieres gibt es ausschließlich Positives zu berichten, angefangen vom Turniersaal, dem mit Abstand bestem Spielmaterial, das man bei einem Open finden kann, der hervorragenden Technik auf Chess-Classics-Mainz-Niveau, bis hin zum engagierten Organisationsteam rund um Timo Schönhof.
Nachfolgend noch mein schachliches Highlight aus Runde 6:
###pgn###
[Event „Haiger-Open“]
[Site „?“]
[Date „2010.05.16“]
[Round „6“]
[White „Montermann, Klaus“]
[Black „Meinhardt, Michael“]
[Result „0-1“]
[ECO „B40“]
[WhiteElo „1887“]
[BlackElo „1993“]
[Annotator „Michael Meinhardt“]
[SetUp „1“]
[FEN „r1bqk2r/pp3ppp/2nbp3/3n4/8/2PB1N2/2QP1PPP/RNB1K2R w KQkq – 0 11“]
[PlyCount „18“]
[EventDate „2010.??.??“]
11. Bxh7 $4 {Das verliert forciert, der Läufer wird abgeklemmt und erobert.} f5
$1 {Überraschung! Der Läufer kann nun mit Schach auf ein nicht angegriffenes
Feld ziehen. Und gibt es dann nicht sogar eine Rückkehr basierend auf dem
Vorstoß g4?} 12. Bg6+ Kf8 13. g4 Nf4 $1 14. gxf5 (14. Bh5 g6) 14… exf5 15.
Bxf5 {Der Läufer ist befreit, aber auf Kosten der nun offenen e-Linie, an
deren Ende der weiße König auf die schwarzen Figuren wartet.} Qe7+ 16. Be4 (16.
Qe4 Bxf5 $1) 16… Bf5 17. Ng5 {
Die beiden anderen Möglichkeiten, den Läufer zu decken, verlieren ebenfalls:} (
17. Ra4 Nb4 $1) (17. d3 Nxd3+ $1 18. Qxd3 Bxe4 19. Qxd6 Qxd6 20. Ba3 Qxa3 21.
Nxa3 Bxf3) 17… Qxg5 18. Bxf5 (18. d3 Nxd3+ 19. Bxd3 Re8+ 20. Be2 Rxe2+ 21.
Kxe2 Qg4+) 18… Re8+ 19. Be4 {Bis hierhin hatte ich bei …f5 gerechnet und
war mir sicher, dass mir hier schon was einfällt. Bei Lichte betrachtet, war
es dann nicht so schwer:} Qg2 $1 0-1
%%%pgn%%%